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A1-Bescheinigung: Bürokratiemonster auf Abruf

Selten wurde so stark vonseiten der Politik und Wirtschaft für ein geeintes Europa geworben: Angesichts der Europawahlen im Mai und dem drohenden Brexit, der wie ein Damoklesschwert über Europa hängt, sind die Vorzüge der EU nicht deutlich genug herauszustellen. Doch insbesondere was die dienstliche Reisefreiheit angeht, ist in den letzten Monaten eher ein bürokratischer Rückschritt zu beobachten: Grund dafür ist die A1-Bescheinigung, die für Dienstreisen in das EU-Ausland, sowie die Schweiz, Liechtenstein, Norwegen und Island benötigt wird. Mit ihr muss nachgewiesen werden, dass in Deutschland Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden.  

Kritik am bürokratischen Mehraufwand 

Die A1-Bescheinigung ist gar nicht so neu: seit Mai 2010 muss sie auf Dienstreisen mitgeführt werden. Seit dem 01.01.2019 müssen Arbeitgeber und Selbstständige die Bescheinigung in elektronischer Form bei der Krankenkasse oder dem Rentenversicherungsträger beantragen. Dies erfolgt über ein geprüftes Entgeltabrechnungsprogramm oder mittels einer maschinellen Ausfüllhilfe – für Arbeitgeber, die ab dem 01. Januar 2019 noch nicht in der Lage sind, elektronisch Anträge zu stellen gibt es eine Sonderregelung: Sie dürfen bis zum 30. Juni 2019 die A1-Bescheinigung mit dem Papiervordruck beantragen.  

Die neue Regelung stößt seit ihrem Inkrafttreten zunehmend auf Kritik: Zum einen sind nun mit bis zu vier Tagen Vorlaufzeit spontane Dienstreisen passé. „Jedes Meeting, jeder Workshop, selbst das Tanken während der Dienstzeit im EU-Ausland erfordert nach den gesetzlichen Rahmenbedingungen eine A1-Bescheinigung“, teilt die Techniker-Krankenkasse mit. Innerhalb eines Tages kann die Krankenkasse keine Bescheinigung ausstellen – dies führt mitunter dazu, dass spontane Termine verschoben oder abgesagt werden müssen. 

Bußgelder im fünfstelligen Bereich möglich 

Zum anderen wurden im Zuge der Neuregelung die Kontrollen verschärft. Die A1-Bescheinigung ist zwar schon immer ein verpflichtendes Dokument auf Dienstreisen; bei einem kurzfristigen Termin oder kurzzeitigen Aufenthalten wurde bislang oftmals auf sie verzichtet. Die nun eingeführten schärferen Kontrollen erfordern eine A1-Bescheinigung auf jeder Dienstreise – ein großer personeller und finanzieller Mehraufwand für die Unternehmen.  

Insbesondere Frankreich und Österreich wollen verstärkt kontrollieren, ob die A1-Bescheinigung mitgeführt wird. Prüfer sollen sich gezielt an Flughäfen die A1-Bescheinigung zeigen lassen und an den Hotelrezeptionen in Gästelisten blättern, um Geschäftsreisende identifizieren zu können. Kann der Dienstreisende keine Bescheinigung vorweisen, gilt sein Einsatz als nicht versicherte Tätigkeit und somit als Schwarzarbeit. Es drohen empfindliche Bußgelder, die im bis zu fünfstelligen Bereich liegen können.  

Kritik vonseiten der Wirtschaft 

Die Strenge der Regelung stößt vielerseits auf Unverständnis: „Es kann nicht sein, dass eine solche Bescheinigung bei jeder Geschäftsreise ins Ausland – selbst bei Tagestrips – nötig ist. Diese sollte bei Geschäftsreisen, die bis zu einer Woche dauern, nicht erforderlich sein“, so Alfred Gaffal, Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (vbw). 

Auch der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) reagiert auf die zunehmenden Beschwerden seiner Mitgliedsunternehmen: Wie die Augsburger Allgemeine berichtet, fordert BVMW-Präsident Mario Ohoven in einem Brief an den Bundesarbeitsminister Hubertus Heil einen „vollständigen Verzicht auf die Vorlagepflicht der A1-Bescheinigung bei Entsendungen unter sieben Tagen“. In ihrer jetzigen Form leiste die Regelung der Abschottung der Arbeitsmärkte Vorschub, so Ohoven. Angesichts der Tatsache, dass Deutschland hinter Polen das Land in der EU mit den meisten Auslandsentsendungen ist, scheint eine Vereinfachung des Verfahrens umso wünschenswerter. 

Nachbesserung in Planung 

Hoffnung gibt die Ankündigung auf EU-Ebene vom 20. März, die geltenden Regeln zugunsten einer leichteren Durchsetzbarkeit überarbeiten zu wollen: „Damit Leben und Arbeiten in der EU für alle EU-Bürger künftig einfacher wird, werden die europäischen Regeln zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit überarbeitet.“ Für Dienstreisen ins EU-Ausland soll in Zukunft kein A1-Entsendeformular mehr beantragt werden müssen. Darüber hinaus sollen nationale Behörden bessere Instrumente an die Hand bekommen, um Missbrauch oder Betrug zu bekämpfen und den Sozialversicherungsstatus von ins Ausland entsandten Arbeitnehmern zu überprüfen, heißt es in der Pressemitteilung der Europäischen Kommission.  

Christoph Carnier, Präsidiumsmitglied vom Verband Deutsches Reisemanagement e. V. (VDR), begrüßt die Entscheidung der Europäischen Kommission und freut sich, dass die EU diesen wichtigen Schritt im Sinne der deutschen Wirtschaft zur Entbürokratisierung gehen will. Die angekündigte Reform komme abedeutlich zu spät: „Viele Unternehmen haben bereits mit großem personellem und finanziellem Aufwand ihre internen Prozesse angepasst. Hier wünschen wir uns bei künftigen Beschlüssen deutlich mehr Weitblick seitens der politischen Entscheidungsträger“ 

Nachdem Anfang des Jahres die A1-Regelung verschärft wurde, scheint es nun wenig verständlich, dass dieselbe Regelung drei Monate später wieder gelockert oder gar abgeschafft werden soll – vor allem im Hinblick auf die Tatsache, dass die Umstellung auf das elektronische Verfahren und die Verschärfung der Kontrollen für viele Unternehmen ein ernsthaftes organisatorisches Problem bedeutet hat. Mit der angekündigten Überarbeitung der A1-Bescheinigung wird hoffentlich eine Regelung gefunden, die den Vorzügen und Freiheiten der EU gerecht wird. 

 

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