Dieser Tage geht ein virales Youtube-Video durchs Internet, das Millionen von Menschen auf der ganzen Welt bewegt: „Look Up“ ist ein Video, das nach eigenen Aussagen für die Online-Generation produziert wurde und ihr die Auswirkungen der Jederzeit-Online-Kommunikation vor Augen führen will (zum Video gelangen Sie HIER). Doch „Look Up ist viel mehr: es ist ein gesellschaftskritischer Einwurf in eine Welt, in der sekundenschnelle und zumeist stark reduzierte Kommunikation durch Smartphones, Tablets und PCs zum Maß vieler Dinge geworden ist. Menschen, die sich zu sehr den technologischen Möglichkeiten der „schönen neuen Welt“ unterwerfen, verpassen nicht weniger als das reale Leben mit all seinen Facetten, so die Kernbotschaft dieses Videos. Auch wenn man sich natürlich fragen kann, ob eine derartige Botschaft ausgerechnet über diejenigen Kanäle verbreitet werden sollte, deren übermäßige Nutzung im Beitrag selbst massiv kritisiert werden, so bleibt doch auffällig, dass das Video einen generellen Trend aufgreift: Das Bedürfnis nach Entschleunigung in einer zutiefst technisierten Welt.
Bereits im vergangenen Jahr hat der Berufsverband DIE FÜHRUNGSKRÄFTE – DFK in einer umfangreichen Studie die Beanspruchung durch die Nutzung digitaler Kommunikationsmittel näher untersucht. Dabei wurden rund 1.000 Führungskräfte im Mittelmanagement befragt. Die Antworten zeigten die Entgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit im Mittelmanagement deutlich: Knapp 90% der Führungskräfte gaben an, dass sie unter der Woche abends regelmäßig außerhalb der Dienstzeiten direkt für ihr Unternehmen erreichbar sind. Über 70% sind dies regelmäßig am Wochenende, 58% im Urlaub. Einige Unternehmen haben inzwischen reagiert und die E-Mail-Erreichbarkeit ihrer Mitarbeiter nach Dienstschluss generell reglementiert. „Mitarbeiter haben das Recht auf eine mailfreie Zeit nach Feierabend“, betonte auch BVMW-Präsident Mario Ohoven zu diesem Thema. Auch ein deutlicher Trend zu einer grundsätzlichen Begrenzung der Email-Flut ist in vielen Unternehmen derzeit zu beobachten – das persönliche Gespräch mit dem Kollegen im Nachbarzimmer soll öfter als bisher die elektronische Kommunikation ersetzen und so auch für mehr soziale Bindung im Unternehmen sorgen.
Doch was passiert, wenn beispielsweise durch Social-Media-Plattformen die Grenzen zwischen privater und beruflicher Nutzung immer weiter verschwimmen? Der Mittelstand steht noch nicht akut vor diesem Problem, wie eine Studie der Universität Liechtenstein vom Dezember 2013 erneut belegt. Große Unternehmen sind demnach die deutlich aktiveren Netzwerknutzer im Social Media-Bereich. Bei KMU scheitert ein stärkeres Engagement hingegen zumeist am Kostenfaktor Zeit.
Zeit ist tatsächlich eine der wichtigsten Ressourcen, das scheint der Mittelstand intuitiv verstanden zu haben, und das obwohl die neuen Kommunikationstechnologien gerne mit den Attributen Geschwindigkeit und Zeitersparnis in Verbindung gebracht werden. Gegen eine gezielte und zeitlich begrenzte Nutzung von Online-Kommunikationsmedien ist auch sicher nichts einzuwenden. Das persönliche Gespräch – sei es bei informellen Treffen in der Teeküche, bei Besprechungen, Team-Meetings oder auch durch Teilnahme an Veranstaltungen – ist jedoch in den meisten Fällen noch immer die effizienteste Kommunikationsform. Mit keiner anderen Art des Austauschs übertragen Menschen gleichzeitig Informationen „mit allen Sinnen“, also nicht nur in geschriebener oder bildhafter Form, sondern parallel auch durch Gesten, eigene Ausstrahlung, Körperhaltung, Stimme und viele weitere, kaum wahrnehmbare Details mehr. Bei keiner anderen Kommunikationsform können die Gesprächsteilnehmer so schnell und direkt auf Veränderungen in Inhalt und Stimmung reagieren und so den Verlauf und das Ergebnis unmittelbar beeinflussen. Online-Kommunikation kann immer nur einen Ausschnitt aus der vielfältigen Welt der menschlichen Begegnung vermitteln und sollte darum mit Bedacht, zeitlich begrenzt und nur in Ausnahmefällen bei Team-Prozessen oder gar bei Streitgesprächen eingesetzt werden. Auch für die aktive Erweiterung des eigenen Netzwerks empfiehlt sich zunächst die Offline-Begegnung im richtigen Leben und erst im nächsten Schritt die Festigung der Verbindung über XING, LinkedIn und Co. Dieser Weg mag etwas länger dauern, aber er lohnt sich und erhöht die Qualität des eigenen Netzwerks entscheidend.
In diesem Sinne – netzwerken Sie, am besten im direkten Kontakt, und vor allem: nehmen Sie sich Zeit für Ihr Gegenüber.
Ihr
Achim von Michel