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Europawahl 2024: Was das Ergebnis für die Klimapolitik bedeuten könnte

Am Tag der Europawahl 2024, in der die noch vor fünf Jahren spektakulär gefeierten „grünen“ Politikideen zunächst erst einmal krachend abgewählt worden sind, wage ich mich seit sehr langer Zeit wieder mit einem Editorial an den Start. Zunächst: Niemand bestreitet, dass die Dekarbonisierung der Wirtschaft, des Verkehrs, ja der ganzen Welt als Zielpunkt der begonnenen Transformation stehen muss und wird.  Das ist – unabhängig von den Bedrohungen des Klimawandels – schon deshalb nötig, weil fossile Energieträger nun einmal begrenzte Ressourcen sind, egal wer in den kommenden Jahren oder Jahrzehnten vielleicht noch welches Erdöl- oder Gasvorkommen auftut. Über den im Vergleich zur Verbrennung deutlich besseren Wirkungsgrad muss man an dieser Stelle nicht sprechen – das war auch vor 100 Jahren grundsätzlich bekannt, führte aber trotzdem zu einem ganz anderen Weg.

Mit dem Wissen der Munich Climate School der LMU, die ich im vergangenen Jahr erstmals an fünf Seminartagen live verfolgen dürfte, bin ich auch als Klimawandel-Skeptiker oder gar -Leugner vollkommen ungeeignet. Natürlich sind in unserer Natur gigantische Veränderungsprozesse im Gange, und natürlich sind diese auch massiv durch menschliche Eingriffe verursacht worden. Die Errungenschaften der modernen Welt verteufeln kann ich aber am Schluss nicht, denn sie haben natürlich auch viel Wohlstand gebracht und menschliche Mühen und Leid konkret und nachhaltig verringert. Den idealen Punkt zum Umzusteuern in ein neues Energie-Zeitalter haben wir wahrscheinlich verpasst, aber auch so sind Menschen: Was scheinbar gut funktioniert und sich bewährt hat, wird ungerne wieder angefasst.

Soll sich Europa von China treiben lassen?

Nun sind es nicht nur die realen Umweltereignisse und die politischen Strömungen, die uns in der momentanen Zeit massiv Druck auf den „Klima-Kessel“ geben: Mit China schwingt sich der bisher größte Verursacher menschengemachter Umweltverschmutzung zunehmend auf, jetzt auch gleich die passende Lösung dafür bereitzustellen. In der Tat – China ist unbestritten der weltweit größte „Enabler“ von erneuerbaren Energien, alleine in 2023 waren das über 200 Gigawatt neu installierter Leistung, und für das laufende Jahr ist eine weitere deutliche Intensivierung geplant. Schon spricht man vollmundig von einem Wendepunkt, mit  dem der „Peak“ der beispiellosen Umweltverschmutzung durch die chinesische Industrie deutlich früher – vielleicht gar noch in diesem Jahr –  erreicht werden soll. China präsentiert darüber hinaus mit einer Vielzahl von elektrisch betriebenen Fahrzeug-Modellen auch im Mobilitäts-Sektor einen greifbaren Wendepunkt, wie er bisher aus der europäischen Automobilindustrie und speziell der viel traditionsreicheren deutschen Industrie noch nicht auszumachen ist.

Vier konkrete Gefahren

Dennoch warne ich vor einigen Dynamiken, die sich verselbständigen könnten und in der Folge Europa und damit natürlich auch Deutschland meiner Ansicht nach immens schaden können.

  1. Europa ist derzeit der sich am schnellsten erwärmende Kontinent im Klimawandel. Bei allem Engagement rund um das Ziel der Klimaneutralität – das aber selbstverständlich immer weltweit betrachtet werden muss – stehen wir vor konkreten Herausforderungen bei der Anpassung an sich verändernde Gegebenheiten. Der Klimawandel ist nichts, das mit Erreichen von bestimmten Zielen am Tag X schlagartig zu Ende sein wird. Wir sprechen vielmehr über sehr graduelle und auch sehr langfristige Prozesse – ich gehe sogar so weit zu sagen: Niemand der heute auf der Welt lebenden Menschen wird wieder einen Zustand „vor“ dem Klimawandel erleben. Was wir tun können und müssen, ist die graduellen Prozesse zu verlangsamen und vielleicht auch stoppen. Aber um dazu überhaupt in der Lage zu sein, müssen wir unsere Städte schützen, die Bewegung unserer Flüsse beeinflussen, die Temperatur in unseren Städten absenken, Menschen vor zu viel Hitze schützen, die Küstenregionen sichern, unsere Rettungs-Infrastruktur ertüchtigen und so weiter und so fort. All das kostet viel Zeit und sehr viel Geld, muss aber ehrlicherweise ebenfalls das Anliegen ernsthafter Politik für Bürgerinnen und Bürger sein. So lange Zeit und Geld nun einmal begrenzte Ressourcen sind, wird also eine Abwägung zwischen Maßnahmen des Klimaschutzes und Maßnahmen des „Schutzes vor Klimaauswirkungen“ unabdingbar sein.
  2. Wir tun gut daran immer im Auge zu behalten, dass China grundsätzlich nicht aus Altruismus agiert. Der ursprüngliche Impuls in Richtung Klimaschutz ist Zuständen geschuldet, in denen in den chinesischen Mega-Citys die Luft so schlecht wurde, dass die Bedrohung für die Bevölkerung konkret und unmittelbar wurde. Es lag also im ureigensten Interesse Chinas, zunächst in eine Verbesserung der heimischen Situation zu investieren. Diese inzwischen „exportfähigen“ Initiativen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass China immer auch interessengeleitete Politik betreibt, sowohl nach innen als auch nach außen. Mit dem dramatischen Wegbrechen des Immobiliensektors als Wachstumstreiber ist China gerade dabei, mit riesigen Solarparks neue Investitionsmöglichkeiten zu schaffen und so ein Stück weit seine massiv schwächelnde Wirtschaft zu stabilisieren. Klar ist aber auch, dass die massive Überproduktion von Solarpanels eine Kampfansage an den Rest der Welt ist, in deren Verlauf unliebsame Konkurrenten auf der ganzen Welt durch Dumping-Preise aus dem Rennen geworfen und eine zunehmende Abhängigkeit gegenüber China induziert werden soll. Gleiches ist natürlich im Automobilsektor zu beobachten – die auf Basis von massiven Subventionen und direkter Verfügbarkeit benötigter Rohstoffe realisierten „Markt“-Preise sind eine weitere Kampfansage an die Märkte in Europa und den USA. Die massive Überproduktion an Fahrzeugen ist derzeit in europäischen Häfen zu besichtigen, an denen China sogar noch beteiligt ist. Das ist für mich kein Grund für hämisches Feixen und Anklagen von zu viel „Bräsigkeit“ hiesiger Anbieter, sondern eine sehr ernsthafte Aufgabe für die Europäische Union der nächsten fünf Jahre: Wieviel „Wettbewerb“ wollen wir erlauben, und an welchem Punkt setzen wir dem wirtschaftlichen Treiben eines politischen „Systemkonkurrenten“ mit klar antidemokratischer Ausrichtung auch klare Zoll-Grenzen, bestehende Joint Ventures und Bedrohung durch Klimawandel hin oder her? (Update 10.6.): Mit der Enscheidung Emmanuel Macrons, Neuwahlen auszurufen, fehlt hier zunächst ein wichtiger Befürworter von Handelsschranken gegenüber China.
  3. Zu glauben, mit dem massenweisen Verschiffen chinesischer Elektrofahrzeuge nach Europa sei das Weltklima im Grundsatz gerettet, ist auch zu kurz gedacht. China ist bisher in der Lage, zum Beispiel mit modernen Lichtbogen-Öfen (EAF) und ähnlichen Technologien etwa fünf bis maximal zehn Prozent grünen Stahls in derzeit zwei riesigen Werken zu produzieren – den sie entsprechend der neuen EU-Vorgaben zum CO2-Grenzausgleichsystem (CBAM)  wahrscheinlich früher oder später auch nach Europa exportieren können. Der Rest wird noch immer extrem dreckig mit Kohle vor allem für den heimischen Markt erzeugt – und wir reden hier vom größten Stahlproduzenten der Welt sehr weit vor Indien.  Auch Chinas Stromversorgung wird Stand heute zu über 60 Prozent aus Kohle gespeist, und die Genehmigungen für neue Kohlekraftwerke erfolgen derzeit noch im Wochenrhythmus. Die chinesische Regierung begründet dies nach außen hin mit dem Argument der „Versorgungssicherheit“. Tatsächlich mag schon bald ein Punkt kommen, an dem erneuerbare Energie in China deutlich günstiger herzustellen und damit wirtschaftlich schlicht überlegen ist – so wie wir das ja in europäischen Strommärkten auch zunehmend sehen. Aber auch in einem Land wie China toben widerstreitende Interessen, über 2,4 Millionen Kohlearbeiter in gerade erst neu erschlossenen Minen werden nicht von heute auf morgen entlassen werden, und zur „richtigen“ Energiepolitik nach Auslegung der Kommunistischen Partei gibt es auch in China mit Sicherheit mehr als eine Meinung.
  4. Schließlich sollte auch die Diskussion um mögliche Alternativen und Ergänzungen zur langfristig unvermeidlichen Elektrifizierung grundsätzlich anders geführt werden. Natürlich ist es richtig, dass es de facto kein „Verbrenner-Verbot“ auf EU-Ebene gibt, und auch die europäische Kernfusionsforschung nicht eingestellt worden ist. Ein grundsätzlich innovations-offeneres Klima würde speziell unserem Land aber ganz sicher an diesem Punkt der Geschichte überhaupt nicht schaden. E-Fuels von Anfang an als politische Nebelkerze zu labeln und die Zukunftstechnologie Kernfusion mit dem Hinweis auf die noch immer 50-jährige Entwicklungszeit lächerlich zu machen, wird weder junge Ingenieure motivieren, mit Hochdruck an möglichen Zukunftstechnologien zu arbeiten, noch unseren Wohlstand in ein oder zwei Generationen sichern. Auch auf die Erfindung Otto Diesels hat niemand wirklich gewartet, und dennoch wurde sie über Generationen ein Erfolgsmodell für dieses Land und die ganze Welt. Wenn Kernfusion oder vergleichbare Technologien eines Tages an einem Punkt sind, kommerzialisiert zu werden – und solche Durchbrüche geschehen ohnehin nicht mehr national, sondern in bestens vernetzten internationalen Forschungs-Communities – dann möchte ich, dass unsere Wirtschaft bitte vorne mit dabei ist, um diese Früchte auch zu ernten. Alles andere wäre ein Rückzug in ein neues Biedermeier, den wir uns einfach nicht leisten können.

In Summe glaube ich, Deutschland und Europa tun gut daran, bei allen berechtigten Forderungen der Klimaszene  darauf zu achten, Schlüsselindustrien nicht aufzugeben.

Ihr

Achim von Michel

Herausgeber „Mittelstand in Bayern“

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