Die Energiekrise, Inflation, Lieferschwierigkeiten, die Coronapandemie, der Fachkräftemangel. Der Mittelstand befindet sich zurzeit in einer multiplen Krise. Welchen Herausforderungen muss er sich aktuell stellen und wie geht er damit um? Achim von Michel, Herausgeber von mittelstandinbayern.de erklärt im Interview, wie es aktuell um den Mittelstand steht.
Wie trifft Energiekrise die Unternehmen?
Achim von Michel: Die hohen Energiepreise belasten die mittelständischen Unternehmen besonders. Laut einer aktuellen Umfrage des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW) sehen sich über die Hälfte der kleinen und mittelständischen Unternehmen durch die Preisexplosionen sogar in ihrer Existenz bedroht. Für fast die Hälfte der Unternehmen haben sich die Preise inzwischen verdoppelt, für ein knappes Drittel sogar verdreifacht. Langfristig halten das im Zweifel nicht alle kleinen und mittelständischen Unternehmen aus.
Wie reagieren die betroffenen Unternehmen auf die Situation?
von Michel: Um die Krise zu bewältigen, denken viele Unternehmen an Personalkürzungen, geplante Investitionen müssen gestoppt oder verschoben werden und einige Unternehmen werden auch ins Ausland gehen, um in der Krise nicht unterzugehen. Für einige wird sich die Produktion auch gar nicht mehr lohnen, was sich aktuell beispielsweise bei den zunehmenden Schließungen von Bäckereien zeigt.
Welche Maßnahmen könnten helfen?
von Michel: Entlastungen sind in der aktuellen Situation dringend notwendig, um eine Insolvenzwelle und großflächige Entlassungen zu verhindern. Jeweils deutlich über die Hälfte der Unternehmen geben in der Umfrage des BVMW an, dass eine Senkung der Stromsteuer, ein gedeckelter Unternehmensstrompreis oder die grundsätzliche Ausweitung der vorhandenen Erzeugungskapazitäten für Energie sie entlasten würden. In Bayern spielt außerdem die Atomenergie eine größere Rolle, immerhin macht sie hier noch etwa 15 Prozent der Stromerzeugung aus. Bis ein guter Energiemix gewährleistet werden kann und die Energieversorgung sichergestellt ist, sollten die Atomkraftwerke am Netz bleiben, im Zweifel auch über April 2023 hinaus, da eine ausreichende und bezahlbare Stromversorgung für den Mittelstand eine existenzielle Grundlage darstellt.
Kann die geplante Gaspreisbremse den Mittelstand retten?
von Michel: Die geplante Gaspreisbremse ist zwar eine richtige und notwendige Maßnahme, ist aber im März 2023 für viele der mittelständischen Unternehmen zu spät angesetzt. Außerdem gibt es weiterhin große Unsicherheiten, ob die Entlastungen beispielsweise rückwirkend für Februar gelten. Bei der Planung wird die Großindustrie offensichtlich bevorzugt, für sie soll es bereits ab Januar einen Gaspreisdeckel bei 7 Cent pro Kilowattstunde geben. Eine solche Ungleichbehandlung schadet letztendlich den mittelständischen Unternehmen.
Was sollte zusätzlich passieren?
von Michel: Der Mittelstand fordert lediglich eine Gleichbehandlung von Großindustrie und mittelständischen Unternehmen. Langfristig sollten kleine und mittelständische Unternehmen, beispielsweise in den Bereichen Handwerk, Handel, Gewerbe und kleinere Industriebetriebe in den Fokus rücken, statt die Aufmerksamkeit immer nur auf die Großindustrie zu richten. Immerhin sind über 99 Prozent aller Unternehmen in Deutschland kleine und mittlere Unternehmen und über 70 Prozent der Lehrlinge werden vom Mittelstand ausgebildet. Außerdem sollte nun auf ein breiteres Energieangebot gesetzt werden. Erneuerbare Energien sind dabei ein wichtiger Punkt, da sie langfristig und zukunftsfähig sind. Mittelständische Unternehmen benötigen dringend wieder mehr Investitions- und Planungssicherheit.
Welche Auswirkungen hat die aktuelle Inflation auf mittelständische Unternehmen und was kann dagegen getan werden?
von Michel: Bei einer so historisch hohen Inflation in Kombination mit einer bevorstehenden Rezession besteht dringender Handlungsbedarf. Dabei wird an die EZB appelliert, denn die weitere Anhebung des Leitzinses könnte einen Beitrag zur Stabilisierung der europäischen Volkswirtschaften und zum Vertrauen in den Euro leisten. Exportstarke Unternehmen profitieren normalerweise durch einen schwachen Euro, da sie günstig exportieren und die Absätze auf dem Weltmarkt erhöhen können. In dieser Krise gehen die Gewinne allerdings wieder unter, da auch alle zusätzlichen Kosten steigen, wie die Einfuhr von Rohstoffen und die Energiepreise. Unter dem Strich gehören der exportstarke deutsche Mittelstand und damit weite Teile der heimischen Wirtschaft zu den großen Verlierern der mangelnden Preisstabilität und der über lange Zeit verfehlten Geldpolitik der EZB.
Welche Rolle spielen die Lieferengpässe momentan?
von Michel: Laut einer Umfrage des ifo-Instituts im September dieses Jahres sind durchschnittlich fast zwei Drittel der Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe von einer Knappheit von Vorprodukten betroffen. Am stärksten sind die Sektoren des Maschinenbaus, der Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten und der Automobilindustrie betroffen. Die Lieferschwierigkeiten und -verzögerungen sind für fast drei Viertel der Unternehmen eine große Herausforderung. Die Materialknappheit führt, auch im Zusammenhang mit den Energiepreisen, zu steigenden Erzeugerpreisen, bei denen es innerhalb des letzten Jahres zum höchsten Anstieg seit Beginn der Aufzeichnungen kam.
Wie belastend ist der Fachkräftemangel?
von Michel: Vor allem der demographische führt zu einem steigenden Fachkräftemangel. Besonders die sozialen Branchen sind betroffen, wie beispielsweise die Sozialarbeit oder die Kinderbetreuung. Dort fehlen über zwanzig tausend Fachkräfte. Aber auch die Bauelektronik, die Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, die Informatik und die Kraftfahrzeugtechnik leiden stark unter fehlenden Fachkräften. Ebenso sind Stellen für LKW-Fahrer schwer zu besetzen. Aktuell sind den bayerischen Arbeitsagenturen über 150.000 freie Stellen gemeldet. Das stellt auch mit Blick auf die Energiewende ein großes Problem dar, denn der Ausbau erneuerbarer Energien und deren Nutzung kann nur mit ausreichenden Fachkräften, so zum Beispiel in der Bautechnik, sichergestellt werden.
Was muss getan werden, um diesem Mangel entgegenzuwirken?
von Michel: Wichtig ist es vor allem, die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten zu fördern, um ein hohes Bildungsniveau zu erhalten und möglichst vielen Menschen die Chance zu bieten, das nötige Fachwissen zu erlangen. Dabei spielt natürlich auch die Digitalisierung eine wichtige Rolle. Aus- und Weiterbildung bringt Wohlstand und Zukunftsfähigkeit für Arbeitnehmer, für Unternehmen und für den Wirtschaftsstandort Bayern insgesamt. Um Lücken kurzfristig zu schließen, können auch qualifizierte ausländische Fachkräfte eine Lösung sein, für die langfristige Entwicklung muss aber auch die Digitalisierung und der technische Fortschritt vorangebracht werden, wodurch mehr Prozesse maschinell durchgeführt werden können.
Wie belastend sind hohe Coronazahlen und Krankenstände?
von Michel: Aufgrund des sowieso hohen Fachkräftemangels stellen zusätzlich hohe Krankenstände vor allem für kleine Unternehmen ein großes Problem dar. Das fehlende Personal ist Einer Zeit von Krisen von allen Seiten eine zusätzliche Belastung. Im Zweifel müssen auch dadurch Produktion oder Angebote zurückgefahren werden.
Wichtig ist, Corona weiterhin ernst zu nehmen und die Schutzmaßnahmen aufrecht zu erhalten. Die rückkehrende Normalität führt dazu das einige Menschen auch krank und ungetestet zur Arbeit gehen. Selbst positiv auf Corona Getestete mit mildem Verlauf gehen teilweise in die Arbeit. Doch auch, wenn viele der Erkrankungen mild verlaufen, ist das Virus nicht zu unterschätzen, vor allem da uns bisher die Daten zu Long Covid fehlen. Davor warnen die Krankenkassen, da der durchschnittliche Krankenstand hier bei etwa 105 Tagen liegt und somit noch längere Krankheitsausfälle verursacht. Besonders bei kleinen Unternehmen könnte das, angesichts des bestehenden Personalmangels, gefährlich werden. Unbedingt muss daher der Grundsatz gelten: „Wer krank ist, bleibt zu Hause“ – insbesondere mit Blick auf die Bundesländer, die ihre Quarantäneregelungen nun aufheben wollen.