Karrierekiller Familie? Damit Mütter wegen der Kinderbetreuung im Job nicht zurückstehen müssen, setzen Politik und Arbeitgeber auf Elternzeit und Betriebskindergärten. Doch wie sieht es bei Berufstätigen aus, die Angehörige pflegen? Auch hier verbessern sich die politischen Rahmenbedingungen. Doch für Mitarbeiter, die Pflegeaufgaben übernehmen, zählen vor allem Führungs- und Unternehmenskultur. Neue Studien und Daten der Techniker Krankenkasse (TK) beziffern, wie groß der Spagat zwischen Job und Pflege ist, und zeigen Lösungsansätze auf.
„Pflegeaufgaben zu übernehmen, wirkt sich auf das Berufsleben aus“, erklärt Wolfgang Flemming, Fachbereichsleiter und Pflegeexperte bei der TK. Vor allem Frauen treten im Job zurück, wenn jemand in der Familie oder im engeren Umfeld pflegebedürftig wird. Das zeigt die TK-Pflegestudie, für die das Meinungsforschungsinstitut Forsa mehr als 1.000 pflegende Angehörige befragt hat. Unter den erwerbstätigen Frauen hat jede Dritte (32 Prozent) aufgrund der Pflegetätigkeit ihre Arbeitszeit reduziert. Bei den Männern hat das jeder Vierte (25 Prozent) getan. „Hier spielt vermutlich mit hinein, dass Männer sicher nach wie vor meist Haupternährer in der Familie sind“, so Flemming.
Der Akutfall kollidiert besonders mit dem Job
Auffällig ist auch: Angehörige, die ganz plötzlich mit einer Pflegeaufgabe konfrontiert wurden, drosseln die Arbeitszeit öfter als Angehörige, die langsam in die neue Situation hineinwachsen konnten (38 Prozent versus 26 Prozent). „Im Akutfall sind die Angehörigen besonders gefordert. Um die Betroffenen hier zu unterstützen, hat der Gesetzgeber erste Schritte in die richtige Richtung unternommen“, erläutert Flemming.
Angehörige haben schon jetzt die Möglichkeit, eine Auszeit von bis zu zehn Tagen zu nehmen, wenn sie kurzfristig eine neue Pflegesituation organisieren oder eine pflegerische Versorgung in dieser Zeit sicherstellen müssen. Zukünftig haben sie in dieser Zeit auch Anspruch auf Pflegeunterstützungsgeld als Lohnersatzleistung, vergleichbar mit dem Kinderkrankengeld. „So können sich pflegende Angehörige auf das Organisatorische konzentrieren und müssen sich keine Sorgen um den Lohnausfall machen“, so Flemming.
Rückendeckung im Unternehmen zählt
Darüber hinaus sollen Beschäftigte künftig einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit von bis zu 24 Monaten haben. „Von den Neuregelungen profitieren auch die Unternehmen, weil ihre Mitarbeiter im Pflegefall nicht voll aus dem Beruf aussteigen müssen. So können die Betriebe ihre Fachkräfte weiterhin halten“, erklärt Heiko Schulz, Psychologe und Demografieberater im innerbetrieblichen Gesundheitsmanagement bei der TK. Er verweist jedoch auf eine aktuelle Gesundheitsstudie, die nachweisen konnte, dass gesetzliche Rahmenbedingungen allein nicht ausreichen, sondern Unterstützungsangebote auch vom Unternehmen und deren Führungskräften initiiert, kommuniziert und gelebt werden müssen.
Schulz: „Pflegende Mitarbeiter sind deutlich weniger unter Druck, wenn sie im Unternehmen und von den Kollegen Rückendeckung erhalten. Sie fühlen sich im Vergleich zu Pflegenden, die kein Verständnis für ihre Situation erfahren, um 30 Prozent weniger belastet.“ Die Betriebe könnten hier ganz konkret mit flexiblen Arbeitszeiten und Mitarbeiterberatung unterstützen.
Pflegestudie: Jeder Neunte hat den Beruf komplett aufgegeben
Insgesamt geben in der TK-Pflegestudie drei von zehn berufstätigen Befragten an, aufgrund der Pflegetätigkeit die Arbeitszeit reduziert zu haben. Je höher die Pflegestufe des zu Betreuenden, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass Angehörige die Arbeitszeit drosseln: in den Stufen null und eins knapp jeder Vierte (22 bzw. 25 Prozent), in Stufe zwei 41 Prozent, in Stufe drei sogar mehr als die Hälfte der Pflegenden (56 Prozent).
Unter den nicht erwerbstätigen Befragten hat jeder Neunte aufgrund der Pflegetätigkeit den Beruf sogar komplett aufgegeben, acht Prozent sind vorzeitig in Rente gegangen. Kein Wunder, Pflege ist ein Vollzeitjob. Knapp zwei Drittel der pflegenden Angehörigen (65 Prozent) sind täglich im Einsatz. Ein Viertel der Befragten (26 Prozent) kümmert sich vier bis sechs Tage die Woche um den Pflegebedürftigen.
Hintergrund: Gesetzentwurf als Baustein der Pflegereform
Mit dem Gesetzentwurf zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf hat das Bundeskabinett einen weiteren Baustein der Pflegereform auf den Weg gebracht. Die neuen Regelungen sollen am 1. Januar 2015 in Kraft treten. Eine Säule ist die zehntägige Auszeit im Akutfall mit Lohnersatzleistung (Pflegeunterstützungsgeld). Die Kosten trägt die Pflegeversicherung. Das Bundesfamilienministerium schätzt die Mehrausgaben der Pflegeversicherung für das Pflegeunterstützungsgeld auf 94 Millionen Euro pro Jahr.
Mehr als 2,5 Millionen Menschen sind pflegebedürftig. Sieben von zehn Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt, zwei Drittel von ihnen ausschließlich durch Angehörige. (Quelle: Statistisches Bundesamt)
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