Teile der Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz stehen in diesen Tagen bedrohlich im Wasser. Weder die tatsächlichen Schäden noch die Anzahl der Opfer sind im Moment des Abziehens von Tief „Bernd“ schon wirklich abschätzbar. Sicher sind sich die Experten darin, dass es ein extremes Ereignis war, wie es eigentlich nur alle paar Jahrzehnte auftritt. Sicher sind sie sich aber auch in der Einschätzung, dass die Häufigkeit und Intensität solcher Klima-Apokalypsen in Zukunft stetig zunehmen wird. Wir sind im Klimawandel angekommen, und niemand glaubt, dass dieses Jahrhundert noch sehr viel Positives zu diesem Thema bereithält. Mindestens 80 Jahre werden die Auswirkungen des Klimawandels unmittelbar spürbar sein, selbst wenn es ab morgen keinen signifikanten CO2-Ausstoß mehr geben sollte. Das macht politisches Handeln doppelt schwer, denn teure und unbequeme Einschnitte in unser Leben werden sich aller Wahrscheinlichkeit gar nicht mehr zu den eigenen Lebzeiten auswirken. Hier ist einmal mehr enormes Vertrauen in die Wissenschaft und Forschung gefragt – aber daran hapert es doch schon bei so manchem Bürger im zweiten Jahr der Corona-Pandemie. Und wie kann Deutschland effektiv zum Klimaschutz beitragen, wenn es nur für zwei bis drei Prozent der Emissionen verantwortlich zeichnet, während die USA im weltweiten Vergleich klar an der Spitze der Umweltsünder stehen, dort aber vergleichsweise moderate Klimamaßnahmen diskutieren – die aller Wahrscheinlichkeit noch nicht einmal mehrheitsfähig im komplexen politischen System des Landes sind, obwohl Kalifornien immer wieder Allzeit-Temperaturrekorde aufstellt und vielleicht schon mittelfristig in weiten Teilen unbewohnbar wird?
EU zeigt sich nicht technologieoffen
Entfaltet wenigstens die in dieser Woche vorgestellte EU-Initiative Fit for 55 eine wirkmächtige Kraft? Den Zertifikate-Handel auszubauen und ins Zentrum der CO2-Maßnahmen zu stellen, ist sicher eine gute Idee, denn das System folgt ökonomischen Prinzipien von Marktpreis und Verknappung, und stellt deshalb ein brauchbares, weil erprobtes Regularium dar – wenn es nicht zu viele Ausnahmen gibt, der Preis realistisch ausgestaltet ist und soziale Härten abgefedert werden. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist daher vom neuen EU-Programm begeistert: „Europa ist jetzt der allererste Kontinent, der eine umfassende Architektur zur Umsetzung seiner Klimaziele vorlegt.“ Trotzdem weist die EU-Initiative noch Schwachstellen auf, wie beim Dogma des Ausstiegs aus dem Verbrennungsmotor zugunsten der Elektromobilität. Hier wird ein fundamentales Prinzip der Wirtschaft einfach ausgehebelt: technologieneutrale Herangehensweisen, die im Ergebnis beispielsweise zu Wasserstoff-Technologien im Schwerlastbereich, sehr schadstoffarmen Dieselverbrennern bei der Langstrecken-Mobilität, und Stromnutzung nur auf der Kurzstrecke in den Ballungsräumen führen könnten. Und genau hier beginnt auch das Problem der gesellschaftlichen, sprich der politischen Akzeptanz: Konsequente Elektromobilität in ländlichen Gebieten ist bisher genauso illusorisch wie das freie „Betanken“ von Millionen mit Strom betriebener Fahrzeuge im derzeitigen Energienetz. Deshalb kommen in Berlin schon heute Gesetzesvorlagen in Umlauf, mit denen eine Abgabe von Strom an öffentlichen Elektro-Zapfsäulen reguliert und im Überlastungsfall auch unterbunden werden soll. Das ist zwar bei etwa 360.000 zugelassenen Elektroautos bisher noch nicht notwendig und deshalb auch nicht konsensfähig, aber es wird eine logische Konsequenz sein, wenn Elektromobilität einerseits mit Nachdruck politisch forciert wird, die Stromanbieter mit ihren Investitionen in die Infrastruktur und das Energieangebot andererseits aber gar nicht nachkommen.
Der Mittelstand ist Klima-Innovationstreiber
Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft versieht die öffentlichkeitswirksame Vorstellung von Fit for 55 mit einer klaren Mahnung: „Das Paket kann der Startschuss sein für eine historische Transformation, an deren Ende ein klimaneutraler europäischer Kontinent steht. Damit dies gelingt, erwartet der BVMW von der europäischen Politik und vor allem auch von der Bundesregierung einen klaren und verbindlichen Fahrplan, wie dieser umfassende Strukturwandel mittelstandsfreundlich gestaltet werden kann“, betont BVMW-Bundesgeschäftsführer Markus Jerger. Damit meint er natürlich die unweigerlich anstehenden, immensen Umwälzungen, die der Industrie in Deutschland im Automobilsektor bevorstehen werden. Bereits unter den geltenden Flottengrenzwerten seien bis 2030 bis zu 215.000 Arbeitsplätze von der tiefgreifenden Transformation zur E-Mobilität betroffen.
Ich persönlich glaube, dass „mittelstandsfreundlich“ auch noch einen anderen zentralen Aspekt impliziert: Die Wertschätzung und Förderung der hohen Bedeutung des innovativen Mittelstands in diesem Land. Erfindungen und technische Neuerungen entstehen schon seit langer Zeit überwiegend in kleineren und mittleren Unternehmen, und werden erst im nächsten Schritt von Großkonzernen in ihre globalen Gesamtpakete integriert. So konnte in Deutschland eine höchst innovative Automobil-Zuliefererindustrie entstehen, aber das Prinzip gilt natürlich auch für andere Wirtschaftszweige. Dazu kommen die erfolgreichen Ausgründungen in Universitäten, in deren Verlauf eine Grundlagenforschung in marktreife Lösungen umgesetzt und angeboten werden kann. Dieses System läuft seit Jahrzehnten erfolgreich und hat unserem Land viel Wohlstand und Innovation beschert. Es gibt schlichtweg keinen Grund, dieses Modell im Angesicht einer massiven ökologischen Krise auszuhebeln. Im Gegenteil: wir sollten es hegen, pflegen und weiter ausbauen, und die politischen Rahmenbedingungen so gestalten, dass die Investoren, Forscher, Entwickler und Gründer möglichst viel Freiheit haben, um dem Klimawandel geeignete Lösungen entgegenzusetzen. Dazu gehören eine grundsätzliche Technologieoffenheit genauso wie konkrete Anreize und gezielte Förderungen.
Anreize wirken besser als Verbote
Politisch begibt man sich hier schnell auf dünnes Eis, denn ein knallhartes Verbot, an dem bitte auch niemand mehr einen Euro verdienen kann, wirkt natürlich viel unmittelbarer auf eine Wählergruppe, als eine zunächst ergebnisoffene Investition in die Zukunft. Ich glaube trotzdem, dass dies der richtigere Weg ist, denn gerade erst hat die Covid-Verbotspolitik gezeigt, wie schnell gesellschaftliche Akzeptanzgrenzen selbst in einem disziplinierten Land wie Deutschland erreicht werden können. Auch die Diskussion um den Patentschutz bei den Covid-Impfstoffen geht in die gleiche Richtung: Natürlich ist ein grundsätzlicher, wirtschaftlicher Anreiz für innovative Pharma- und Biotech-Unternehmen, die Innovation mRNA-Impfstoff zum Wohle der Welt – und auch des eigenen Unternehmens – immer weiter zu verbessern wesentlich sinnvoller, als ein politisch angeordnetes und überdies auch im Ergebnis wirkungsloses Aussetzen weltweit etablierter Patentschutz-Regularien.
Gegen die nächsten 80 Jahre Klimakrise können wir nach Ansicht vieler Wissenschaftler schon nicht mehr viel unternehmen. Aber zumindest können wir ein Klima schaffen, dass wie bisher in erster Linie hohes Vertrauen in Wissenschaft und in die maximale Innovationskraft der Menschheit setzt, und nicht mit einer zunehmenden Verbotspolitik jede Kreativität im Keim erstickt. In der Kindererziehung haben wir das längst gelernt: Mehr Anreize statt Verbote. Warum soll das für Erwachsene nicht auch funktionieren?
Ihr
Achim von Michel