Ilse Aigner, Bayerische Staatsministerin für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie, hat zum Auftakt der MEDIENTAGE MÜNCHEN medienpolitische Eckpunkte der Bayerischen Staatsregierung für die digitale Medienzukunft genannt: Es gehe darum, Medienförderung als Gründerförderung zu begreifen, eine zeitgemäße Regulierung zu schaffen, bei der Filmförderung neue Akzente zu setzen und die Medienvielfalt so zu stärken, dass auch lokale TV-Programme überall empfangen werden können. Aigner bezeichnete die Digitalisierung als „große Umwälzung“, in deren Folge Wertschöpfungsketten vernetzt und Branchengrenzen verschwimmen würden. „Die digitale Disruption macht vor den Medien nicht halt“, sagte die Medienministerin. In der Internetökonomie würden neue Marktformen und Wertschöpfungen die traditionellen Medien zu einem permanenten Lern- und Veränderungsprozess zwingen.
Politisch gelte es nun, die Vielfalt der Medien in einem modernen Umfeld zu sichern, lautete Aigners Credo. Im Rahmen der Strategie Bayern Digital sollen deshalb nach dem Vorbild des Münchener Gründerzentrums Werk1.Bayern in allen bayerischen Regierungsbezirken digitale Inkubatoren entstehen. Entsprechende Ausschreibungsverfahren sollen Anfang 2016 erfolgen. Außerdem werde das Wirtschaftsministerium mit einem sogenannten Digitalbonus zwanzig Millionen Euro für die Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen bereitstellen, um sie bei neuen Geschäftsmodellen oder der Verbesserung ihrer IT-Systeme zu unterstützen.
Zentrale Ziele der Regulierung müssten Rechtssicherheit und Chancengleichheit sein, betonte die Ministerin. Mit dem neuen Bayerischen Mediengesetz sollten Genehmigungsverfahren vereinfacht werden, Konzentrationsrichtlinien gelockert und Kooperationen ermöglicht werden. Voraussichtlich noch in diesem Jahr werde außerdem ein konkretes Arbeitsprogramm beschlossen, weil die Re-gierungschefs der Bundesländer gemeinsam mit Vertretern des Bundes neue Vorschläge für eine konvergente Medienordnung erarbeiten wollen. Das geltende Medienkonzentrationsrecht müsse wegen „seiner Fernsehzentrierung“ verändert werden, forderte Aigner. Zugleich müsse die Existenz von Anbietern gesichert werden, deren Programme von öffentlichem Wert seien. Im globalen Wettbewerb müssten regionale und nationale Inhalte geschützt und marktbeherrschende Stellungen einzelner Anbieter verhindert werden.
Für die Filmförderung in Bayern kündigte Aigner an, dass die Höchstfördersummen angehoben würden und künftig auch mehrere Projekte gleichzeitig im Rahmen der Projektentwicklungsförde-rung beantragt werden können. Darüber hinaus sollen vom FilmFernsehFonds Bayern verstärkt transmediale und digitale Erzählformen gefördert werden. Mehr Geld gebe es auch für Produktionen mit Computer-generierten Visual Effects. Weitere Förderung versprach die Ministerin außer-dem zugunsten der Verbreitung lokaler und regionaler TV-Programme, die das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie zurzeit jährlich mit neun Millionen Euro unterstützt.
Die Digitalisierung bedeutet für Medienpolitik und -regulierung, Medienunternehmen und -nutzer eine große Herausforderung. Siegfried Schneider, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien und Vorsitzender der Gesellschafterversammlung MEDIENTAGE MÜNCHEN, sagte, es gehe „um radikale Veränderungen im Hinblick auf Technologien, Produkte und Dienstleistungen, durch die die Spielregeln in den Märkten verändert werden“. Häufig begännen disruptive Innovationen mit Nischenprodukten, durch die ein Prozess in Gang gesetzt werde, an dessen Ende möglicherweise die Regeln einer Branche neu definiert würden. Für die klassischen Medienunternehmen gehe es nun darum, die jüngeren Rezipienten nicht an die Online-Welt zu verlieren. Die normative Vorgabe für die Gestaltung einer offenen Mediengesellschaft formulierte Schneider wie folgt: „Es muss uns gemeinsam gelingen, durch eine intelligente Regulierung einen weitgehenden Ausgleich zwischen gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Interessen zu schaffen und damit sowohl eine gelingende öffentliche Kommunikation sicherzustellen, als auch neue digitale Geschäftsmodelle zu ermöglichen.“
Prof. Dr. Miriam Meckel, Chefredakteurin der Wirtschaftswoche, fasste in ihrer Keynote zum Kongress-Motto „Digitale Disruption. Medienzukunft erfolgreich gestalten“ das Problem von Online-Geschäftsmodellen wie folgt zusammen: Die Onlinewerbung wachse, aber ersetze noch längst nicht die Einbrüche im klassischen Werbegeschäft. Immer mehr Nutzer reagierten ablehnend auf das Werbebombardement mit Pop-ups, Bannern und Videos. Zuviel Werbung aber gefährde auf Dauer das Internet. Sie sei „unkreativ zerstörend“ und habe viele Websites in „Resterampen der digitalen Zerstreuung“ verwandelt. Meckel kritisierte, im World Wide Web herrsche „Reizüberflutung statt Qualitätsbotschaften“. Sie nannte die Non-Stopp-Werbeflut ein „24/7-Byte-Geballer“ und forderte, mehr kreative Energie auf gute Werbung, auf ästhetische Reize, auf ansprechende und faszinierende Botschaften zu richten. Gefragt seien Werbeformen, „die nicht nerven“ und die auf einzelne Nutzer zugeschnitten seien.
Die Kommunikationswissenschaftlerin und Chefredakteurin der Wirtschaftswoche mahnte generell mehr Qualität im Internet an. Wichtiger als Klickraten seien Verweildauer und Interaktion. Auf Dauer gehe es nicht um die Bedienung kurzfristiger Bedürfnisse „im Dreiklang individuell, schnell, bequem“. Vielmehr müsse Online-Journalismus das Ziel haben, Unterschiedliches zu verbinden, Kontroversen offen zu legen, zu recherchieren und zu kritisieren. Statt einer Industriealisierung von Dareichungsformen und Inhalten seien kreative Inhalte notwendig, die das menschliche Gehirn herausfordern, wünschte sich Meckel einen positiv gestalteten Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft. Wer nicht Ziel, sondern „Treiber der digitalen Informationswirtschaft“ sein wolle, der dürfe nicht weiter zulassen, dass unser Gehirn mit Massenware überflutet werde, lautete Meckels eindringlicher Appell. Wichtig sei, dass Medienunternehmen etwas Neues machen und nicht das gängige Geschäftsmodell der Online-Werbung „bis zum letzten Tropfen ausquetschen“.
Wie sich Online-Inhalte auch ohne Werbung finanzieren lassen, erläuterte Roy Price. Der Vice President der Amazon Studios erklärte zum Auftakt des TV-Gipfels der MEDIENTAGE MÜNCHEN, Streaming und Video on Demand bedeuteten für Nutzer, die einen festen Monatsbe-trag bezahlen, eine zeit- und ortsunabhängige Auswahl. Die Kunden von Amazon Prime würden nach Serien suchen, die mehr bieten könnten als normale TV-Programme. „Attraktiv ist, was die Regeln bricht“, verriet Price und verwies auf die zehn Emmys, die Amazon in diesem Jahr gewin-nen konnte. Bei der Projektierung neuer Produktionen würden Algorithmen helfen, die auf Nutzer-Daten basierten, schilderte der Amazon-Manager den Entwicklungsprozess neuer Serien und Filme. Wichtiger aber seien „supertalentierte Filmemacher“, die viel „Leidenschaft für Neues“ mitbringen müssten. Außerdem hätten bei allen 61 bisher realisierten Eigenproduktionen Nutzer die Möglichkeit gehabt, Feedback auf Pilotfolgen zu geben. Realisiert worden seien immer nur Serien oder Filme, auf deren Pilot-Präsentationen Zuschauer „leidenschaftlich reagiert“ hätten.
Moderator und Entertainer Thomas Gottschalk wollte bei der Gipfel-Podiumsdiskussion ausloten, ob sich mit Streaming-Diensten und Video on Demand per Internet das Ende der Fernseh-Ära ankündigt. Kelly Day, Chief Digital Officer von AwesomenessTV, zeigte sich selbstbewusst. „Wir schaffen die Zukunft des Fernsehens“, beschrieb die Managerin das Konzept von AwesomenessTV. Das Unternehmen startete als YouTube-Kanal und entwickelte sich zum Multi-Channel-Network. Inzwischen werden eigene Serien, Filme und Shows für die Zielgruppe der Kinder und jungen Jugendlichen produziert. „Wir haben festgestellt, dass Kinder dem Medium Fernsehen nicht sehr treu sind“, warnte Day die klassische TV-Branche vor einem Generationenabriss. Jay Marine, Vice President Amazon Instant Video EU, unterstrich, junge Leute hätten eine eigene Art, Medien zu nutzen. Sie würden Videos weniger lange ansehen als ältere Zuschauer. Amazon Prime verfüge über Inhalte für alle Altersgruppen, stehe aber „noch ganz am Anfang“.
Fred Kogel, der im Vorstand von Constantin Medien für Produktion, Prozessmanagement und Integration zuständig ist, riet dazu, im Kräftespiel von TV und World Wide Web beide Welten zu bedienen. Amazon Prime biete zwar ein „herausragendes Programm“. Streaming-Anbieter müssten aber erst noch beweisen, dass sie dauerhaft Erfolg haben könnten. Die Netflix-Produktion „House of Cards“ sei ein „grandioser Marketing-Erfolg“ gewesen, von den Abrufzahlen her aber handle es sich um eine „globale Nische“. Wolfgang Link, Vorsitzender der Geschäftsführung von ProSieben-Sat.1 TV, ergänzte, die Marktanteile der zweiten Staffel von „House of Cards“ seien im Free TV „kaum noch messbar“ gewesen.
„Das lineare Fernsehen wird es noch lange geben“, wollte auch Link nichts vom Ende der TV-Ära wissen. ProSiebenSat.1 produziere jedoch längst für alle Plattformen. Dr. Norbert Himmler, Programmdirektor des ZDF, lobte die „sehr lebendige Produzentenlandschaft“ in Deutschland, allerdings fehlten gute Serien. Streaming-Dienste seien mit US-Serien sehr erfolgreich. Dies dürfe aber nicht dazu führen, dass künftig Algorithmen über das Programm bestimmen könnten. In das Geschäft mit TV-Serien wird im nächsten Jahr auch Sky Deutschland einsteigen. Geschäftsführer Carsten Schmidt freute sich, Sky komme nun „endlich an die Sonne“ und habe zum Beispiel entscheidenden Anteil bei der Etablierung des mobilen Fernsehens in Deutschland gehabt.
Im Laufe der Diskussion wurde deutlich, dass Amazon & Co. intelligente Unterhaltungsformate anstreben, damit aber keinen Bildungsauftrag verbinden. ZDF-Programmdirektor Himmler betonte in diesem Zusammenhang, öffentlich-rechtliches Fernsehen wolle hingegen auch bilden und versuche beispielsweise, fiktionale Stoffe durch entsprechende Dokumentationen zu ergänzen.