Industrie 4.0 kommt bis spätestens 2025 und stärkt die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Davon sind nach dem neuen VDE-Trendreport, einer Umfrage unter den 1.300 VDE-Mitgliedsunternehmen und Hochschulen, fast drei Viertel der Befragten überzeugt. Noch mehr erwarten allerdings, dass sich der internationale Wettbewerb um die Technologieführerschaft in der Produktion der Zukunft in den nächsten Jahren stark verschärfen wird und Deutschland aufpassen muss, angesichts der US-Dominanz bei der technischen Software und Internet-Plattformen im Innovationswettlauf um Industrie 4.0 nicht zurückzufallen. Jeder zweite glaubt, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern noch zu wenig in die Erforschung und Entwicklung von Cyber-Physical Systems investiert. Vor diesem Hintergrund plädieren 61 Prozent dafür, den Mikroelektronik-Standort Deutschland zu stärken, um die erforderlichen Systeme rechtzeitig vor Ort verfügbar zu machen. Dass der Breitbandausbau wichtige Standortchancen eröffnet, sagen 64 Prozent. Am meisten von Industrie 4.0 profitieren werden der Automobil- und Maschinenbau (72 Prozent bzw. 66 Prozent), gefolgt von der Elektrotechnik (38 Prozent) und Logistik (36 Prozent). Das derzeit weitaus größte Hindernis für die Ausbreitung von Industrie 4.0 in Deutschland ist laut VDE-Trendreport die IT-Sicherheit (67 Prozent). Gegenüber dem VDE-Trendreport 2013 zum Schwerpunktthema Industrie 4.0 zeigt der aktuelle VDE-Trendreport einen leichten Stimmungswandel im Hinblick auf den Umsetzungszeitraum und die Herausforderungen für die deutsche Industrie. 2013 erwarteten erst 64 Prozent die Realisierung von Industrie 4.0 bis 2025, heute sind es 70 Prozent. Auch die Bedeutung von Industrie 4.0 für Europa wird inzwischen höher eingeschätzt. Während vor zwei Jahren 39 Prozent meinten, Industrie 4.0 sei ein wichtiger Pfad zur Re-Industrialisierung Europas, sind es heute 51 Prozent. Zugleich ist man aber skeptischer, ob Deutschland zum Leitanbieter für Industrie 4.0 wird. 2013 waren noch 51 Prozent davon überzeugt, aktuell glauben das nur 40 Prozent.
Automatisierung und IT-Sicherheitstechnologien schaffen Basis für Industrie 4.0
Die größten Treiber von Industrie 4.0, der Vernetzung von Produktsystemen und Produkten auf Basis von Cyber-Physical Systems im Internet der Dinge, sind vor allem Vorteile wie größere Flexibilität (56 Prozent), optimierte Prozesse (47 Prozent), individualisierte Produkte (45 Prozent), schnellere Realisierung neuer Produkte und Kosteneinsparungen (45 Prozent) sowie bessere Ressourceneffizienz (39 Prozent). Als wesentliche Technologien für Industrie 4.0 werden die Automatisierung (67 Prozent) und IT-Sicherheitstechnologien (62 Prozent) angesehen. Knapp die Hälfte der Befragten hält Embedded Systems und Sensorik für wichtig, etwa ein Drittel neue Mensch-Maschine-Schnittstellen, Robotik, Funkkommunikation und Autonome Systeme, ein Viertel Cloud & Big Data. Dabei schätzen Unternehmen und Hochschulen die einzelnen Technologien zum Teil sehr unterschiedlich ein. Während Hochschulen die Bedeutung von Embedded Systems (60 Prozent), Sensorik (53 Prozent), Autonomen Systemen (45 Prozent) und Funkkommunikation (42 Prozent) überproportional hoch einschätzen, halten Unternehmen insbesondere Neue Mensch-Maschine-Schnittstellen wie z. B. Tablets (48 Prozent) für vergleichsweise wichtig.
Industrie 4.0 birgt Chancen und Risiken für die klassische Industrie
Neben dem Thema IT-Sicherheit (67 Prozent) sind laut VDE-Trendreport fehlende Normen und Standards, Migrationsprobleme von klassischer Industrie zu Industrie 4.0 und unzureichende branchenübergreifende und interdisziplinäre Zusammenarbeit für fast jeden zweiten große Hindernisse, hohe Investitionskosten und Komplexität für jeden dritten. Fehlende Anwendungsfälle / Geschäftsmodelle und die unzureichende IKT-Infrastruktur sieht etwa ein Viertel als Barriere an.
Jeder zweite glaubt, dass Industrie 4.0 gerade für mittelständische Unternehmen einen vielversprechenden Markt eröffnet. 80 Prozent meinen aber auch, dass gerade kleine und mittelständische Unternehmen, die das erforderliche Know-how nicht allein aufbauen können, dazu Partner mit Expertise benötigen. Dabei sind Hochschulen (86 Prozent) eher dieser Meinung als Unternehmen (76 Prozent).
Mehr als ein Drittel sieht in Industrie 4.0 sogar ein Risiko für die klassische Industrie. Auch hier differieren die Einschätzungen von Unternehmen (48 Prozent) und Hochschulen (25 Prozent) erheblich. Ebenfalls fast jeder dritte befürchtet, dass die deutsche Industrie zu lange an klassischen Produktionsmethoden festhält.
USA im Kopf-an-Kopf-Rennen um Industrie 4.0 mit leichten Vorteilen
Nach der Umfrage bahnt sich im Wettlauf um die Technologieführerschaft ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Amerika, Europa und Asien an – mit leichten Vorteilen für Amerika. 23 Prozent sehen Amerika, 18 Prozent Asien, 16 Prozent Europa als Vorreiter. Etwa die Hälfte halten Amerika und Europa für gleichermaßen gut aufgestellt, etwas weniger als die Hälfte Asien. Beim Ländervergleich fällt die Reihenfolge klarer aus. 30 Prozent sehen die USA als Vorreiter, während 25 Prozent Japan und 19 Prozent Deutschland an der Spitze sehen. Als gut aufgestellt werden alle drei genannten Länder von etwa jedem zweiten bezeichnet. Die Werte für China (13 Prozent bzw. 38 Prozent) und Taiwan (9 Prozent bzw. 44 Prozent) fallen schwächer aus. Auffällig ist, dass Hochschulen die Bezeichnung „Vorreiter“ generell sparsamer vergeben als Unternehmen. Besonders deutlich wird diese Diskrepanz bei den USA, denen zwar 37 Prozent der Unternehmen, aber nur 20 Prozent der Hochschulen die Vorreiterrolle zutrauen.
Industrie 4.0 nimmt an Fahrt auf
34 Prozent der befragten Unternehmen sind bereits konkret mit dem Thema Industrie 4.0 befasst. Allerdings befinden sich davon 70 Prozent noch in der Beobachtungs- bzw. Analysephase. In operativen Einzelprojekten beschäftigt sich etwa ein Drittel mit dem Thema, in der Planungs- / Testphase etwa ein Viertel. Dabei sind es insbesondere große Unternehmen mit 5.000 oder mehr Beschäftigten, die sich bereits in operativen Einzelprojekten mit Industrie 4.0 beschäftigen (75 Prozent).
In Kooperation mit einer Hochschule bzw. einer Partnerfirma ist etwa jedes fünfte Unternehmen mit dem Thema befasst. Auch hier sind es vor allem große Unternehmen (75 Prozent), die Kooperationen mit Hochschulen unterhalten. Etwa jedes sechste Unternehmen investiert mehr in IT oder in Automatisierung. Dies gilt hauptsächlich für kleine Unternehmen mit unter 100 Mitarbeitern.
Sind die Hochschulen auf das Thema Industrie 4.0 vorbereitet?
Unter den Hochschulen und Instituten befassen sich bereits 58 Prozent konkret mit Industrie 4.0, hier insbesondere im Bereich Automatisierungstechnik (73 Prozent) und Informations- und Kommunikationstechnik (44 Prozent). Die meisten Hochschulen und Institute beschäftigen sich in Form von Veranstaltungen (58 Prozent) sowie in Kooperation mit Unternehmen (54 Prozent), Forschung und Instituten (35 Prozent) oder anderen Fachbereichen bzw. Hochschulen (25 Prozent) mit dem Thema.
Mehrheitlich unentschieden sind die Befragten bei der Frage, ob die Hochschulen auf Industrie 4.0 gut vorbereitet sind (59 Prozent). Für gut vorbereitet hält die Hochschulen nur knapp jeder zehnte, für nicht gut vorbereitet jeder dritte. Dabei driften die Einschätzungen bei den Hochschulen selbst besonders stark auseinander. Während einerseits 15 Prozent Hochschulen für gut vorbereitet sehen, meinen 39 Prozent, dies treffe nicht zu.
Unentschieden sind die Befragten auch in der Frage, ob Industrie 4.0 zusätzliche Arbeitsplätze in Deutschland schafft und ob damit ein eher sprunghafter als evolutionärer Paradigmenwechsel in der Automation verbunden ist. Dass Industrie 4.0 zusätzliche Arbeitsplätze in Deutschland schafft, glauben 21 Prozent (17 Prozent der Unternehmen, 28 Prozent der Hochschulen). Einen Paradigmenwechsel sehen 23 Prozent.
Industrie 4.0 bei Standortpotenzialen auf Platz 3
Industrie 4.0 hat sich inzwischen einen Platz unter den großen Technologie- und Normungsthemen erobert. Nach Smart Grids (62 Prozent) und Energieeffizienz (61 Prozent) folgt Industrie 4.0 / Smart Factory mit 44 Prozent bereits auf dem dritten Platz der Technologiebereiche mit den größten Standortpotenzialen. Davon, dass der Innovationsstandort Deutschland seine wirtschaftliche Position aufgrund seiner Technologieposition generell weiter stärken kann, sind 56 Prozent der Befragten überzeugt. Smart Grids (49 Prozent) rangieren auch bei den Technikbereichen mit dem größten Normungsbedarf an erster Stelle, dicht gefolgt von Elektromobilität (48 Prozent), IT-Sicherheit (46 Prozent) und Industrie 4.0 (44 Prozent). Bedeutende Innovationsthemen für den Standort sind Batterie- und Speichertechnologien (55 Prozent). Wichtige Impulse werden auch von der Elektrotechnik (47 Prozent), Automatisierungstechnik (45 Prozent) sowie Informations- und Kommunikationstechnik (42 Prozent) erwartet.
Innovationsmotor Mittelstand, Innovationsbremse Bürokratie
Die Innovationschancen in Deutschland werden vor allem vom Innovationsmotor Mittelstand (72 Prozent) und vom hohen Ausbildungsniveau (60 Prozent), aber auch vom Systemdenken von Ingenieuren (52 Prozent) und Netzwerken aus Unternehmen, Forschung und Hochschulen (51 Prozent) gestärkt. Die größten Innovationshemmnisse sind zu viel Bürokratie (58 Prozent), der Mangel an qualifiziertem Personal (48 Prozent) sowie gesetzliche Rahmenbedingungen und Planungs- bzw. Umsetzungsprobleme bei Großprojekten (36 Prozent). Dass Unternehmen der Elektro- und IT-Branche 2015 ihre F+E Investitionen weiter erhöhen werden, glauben 33 Prozent, mit Blick auf das eigene Unternehmen 18 Prozent. Weiterhin zugespitzt bleibt die Fachkräftesituation. 93 Prozent erwarten, dass sich der internationale Wettbewerb um Fachkräfte der Elektro- und Informationstechnik weiter verschärfen wird. Fast ebenso viele (92 Prozent) bestätigen, dass Elektroingenieure gute Berufschancen haben. In 53 Prozent der befragten Unternehmen und Hochschulen gibt es bereits besondere Förderprogramme für Ingenieurinnen und Wissenschaftlerinnen.
Über den „VDE-Trendreport Elektro- und Informationstechnik 2015: Innovationen – Märkte – Arbeitsmarkt“:
An der Umfrage unter den 1.300 VDE-Mitgliedsunternehmen und Hochschulen nahmen 242 Personen teil. 93 Prozent der Befragten kamen aus Deutschland, überwiegend aus der Elektrotechnik (49 Prozent) und Energietechnik (26 Prozent). 62 Prozent arbeiten in einem Unternehmen, 38 Prozent in einer Hochschule oder einem Forschungsinstitut. Die Anzahl der Mitarbeiter in den befragten Unternehmen lag im Mittel bei 2.869 Personen, der Anteil der Elektroingenieure an allen Mitarbeitern bei 18,5 Prozent. Bei den befragten Hochschulen handelt es sich vor allem um Fachhochschulen (75 Prozent). Am stärksten vertreten waren die Fachbereiche Elektrotechnik und Informationstechnik (44 Prozent) sowie Elektrotechnik (41 Prozent).