Angesichts der zunehmenden Abschiebung von jungen Flüchtlingen, die sich in einem Ausbildungsverhältnis mit bayerischen Unternehmen befinden, fordern der bayerische Landesverband des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW), der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) und der Verein Hilfe von Mensch zu Mensch e.V. mehr Planungssicherheit bei den Aufenthaltsgenehmigungen junger Flüchtlinge. Auf Kritik stößt bei den Verbänden insbesondere die Asylpolitik mit der Aushöhlung des Integrationsgesetzes durch die Bayerische Staatsregierung und die bayerischen Ausländerbehörden.
Das neue Integrationsgesetz, welches seit dem 6. August 2016 bundesweit gilt, sollte Flüchtlingen und Ausbildungsbetrieben ursprünglich mehr Rechts- und Planungssicherheit geben. In dem Gesetz ist die sogenannte 3+2-Regel enthalten, welche Flüchtlinge während ihrer dreijährigen Ausbildung und der ersten zwei Arbeitsjahre vor einer Abschiebung schützen soll. In einem Nachsatz des Paragraf 60a wird jedoch eingeschränkt, dass eine Duldung nur dann zu erteilen ist, „wenn konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen“. Gedacht war dieser Nachsatz lediglich für Extremfälle, in denen erst kurz vor der geplanten Abschiebung ein Ausbildungsvertrag auftaucht. Ermutigt durch ein Schreiben des Bayerischen Innenministeriums nutzen die bayerischen Ausländerbehörden den Nachtrag jedoch als Schlupfloch, um Flüchtlinge trotz Ausbildungsvertrag abschieben zu können.
Das restriktive und unberechenbare Vorgehen der bayerischen Ausländerbehörden ruft unter den bayerischen Unternehmern große Verunsicherung hervor. „Es ist vollkommen verständlich, dass Unternehmen den Aufwand eines Ausbildungsvertrags mit Flüchtlingen scheuen, wenn ihr Auszubildender jeden Moment abgeschoben werden kann. Die Folge der aktuellen Unsicherheit ist, dass viele Arbeitgeber Flüchtlingen keinen Ausbildungsplatz mehr anbieten wollen. Das kann nicht die Lösung sein“, mahnt Achim von Michel, Landesbeauftragter für Politik des BVMW Bayern. Für die bayerische Wirtschaft ist die Unberechenbarkeit der Ausländerbehörden auch aufgrund des Fachkräftemangels ein Problem. „Die bayerischen Unternehmen suchen teils händeringend nach Auszubildenden, deshalb waren sie bisher auch relativ offen für Ausbildungsverträge mit Flüchtlingen“, betont von Michel.
Die gesetzliche Unsicherheit stellt für junge Flüchtlinge in Bayern eine große psychische Belastung dar. Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, warnt vor den Konsequenzen: „Es kann sicher jeder nachvollziehen, dass Motivation und Leistungsbereitschaft auch von Perspektiven abhängen. Wenn diese den Schülerinnen und Schülern entzogen werden, ist das alles andere als sinnvoll.“ Auch für Lehrerinnen und Lehrer sei diese Situation untragbar. „Sie investieren viel in die jungen Menschen, um ihnen Chancen zu eröffnen – doch dann müssen sie hilflos zusehen, wie ihre Bemühungen zu Nichte gemacht werden. Dieser Missstand muss schnell beendet werden.“
Neven Klepo, Ausbildungsvermittler im Projekt der schulanalogen Maßnahme K.O.M.M.-mit! des Vereins Hilfe von Mensch zu Mensch, kann dieser Einschätzung nur zustimmen. Er sieht in den Flüchtlingsklassen bereits einen deutlichen Rückgang der Leistungsbereitschaft: „Es ist schlicht frustrierend, dass unsere Schüler trotz ausreichender Kenntnisse und großer Arbeitsmotivation immer häufiger von Unternehmen abgewiesen werden“, erklärt Klepo. „Ohne den glaubwürdigen Anreiz einer langfristigen Bleibeperspektive und einer erfolgreichen Ausbildung verlieren junge Flüchtlinge jegliche Motivation zum Lernen oder Suchen eines Ausbildungsplatzes. Da helfen leider auch alle Bemühungen der Lehrer und des Projektteams nicht weiter.“