Eine Studie von RölfsPartner und Universität Leipzig weist erstmals empirisch nach, warum Unternehmen Opfer von Wirtschaftskriminalität werden und wie sie sich erfolgreich dagegen schützen können 83 Prozent aller Unternehmen im Public und 78 Prozent im Private Sector sind nicht professionell gegen Wirtschaftskriminalität geschützt. Das geht aus der aktuellen Studie „Das Unternehmen als Opfer von Wirtschaftskriminalität“ hervor, für die RölfsPartner und die Universität Leipzig 338 Unternehmen aus dem Public und dem Private Sector analysiert haben. Rund ein Drittel der untersuchten Unternehmen – 32 Prozent aus dem Public und 37 Prozent aus dem Private Sector – sind nach eigenen Angaben im Untersuchungszeittraum von zwölf Monaten Opfer von Wirtschaftskriminalität geworden. Sowohl der wirtschaftliche Schaden als auch der Imageschaden sind in den meisten Fällen enorm.
Erstmals konnte systematisch empirisch untersucht werden, wie und warum Unternehmen Opfer von Wirtschaftskriminalität werden. Aus diesen Erkenntnissen entwickelt die Studie eine Typologisierung der Unternehmen als potenzielle Opfer und analysiert, warum trotz offensichtlicher Bedrohung Unternehmen nur unzureichende Maßnahmen zur Schadensabwehr ergreifen. Das Ergebnis ist ein Vier-Stufen-Modell, das von Stufe 1 (unprotected) bis Stufe 4 (professionaly protected) reicht. Auf Grundlage dieser Typisierung haben sich alarmierende Kernergebnisse herauskristallisiert: 83 Prozent der Unternehmen im Public und 78 Prozent im Private Sector sind nicht professionell geschützt – das heißt nicht auf Stufe 4. Sie verfügen über kein vollständiges Compliance-Management-System mit Hinweisgebersystem, das umfassenden Schutz vor Wirtschaftskriminalität bieten würde. 17 Prozent aller öffentlichen Unternehmen haben überhaupt keine Compliance-Tools und immerhin 16 Prozent im Private Sector sind damit völlig ungeschützt.
Public Sector: Trotz rechtlicher Verpflichtung unzureichender Schutz
Während im Private Sector 84 Prozent der Unternehmen zumindest einzelne Präventionsinstrumente, wie beispielsweise ein Hinweisgebersystem einsetzen, scheint der Public Sector noch sorgloser: Ein so zentrales Element wie einen klar formulierten Verhaltenskodex besitzen weniger als die Hälfte aller öffentlichen Unternehmen mit nur 43 Prozent – im Gegensatz zu 62 Prozent in der Privatwirtschaft. Die Mitarbeiter haben somit keine klaren Richtlinien, welches Verhalten überhaupt erlaubt ist. „Der Public Sector schützt sich gegen Wirtschaftskriminalität schlechter als der Private Sector. Dies ist umso erstaunlicher, da hier die gesetzlichen Vorgaben strenger sind und in letzter Konsequenz der Steuerzahler die so entstehenden Schäden tragen muss“, kommentiert Dieter John, Leiter des RölfsPartner Competence Centers Fraud – Risk – Compliance und Co-Autor der Studie.
Kontrollparadoxon: Führt Compliance zu mehr Wirtschaftskriminalität?
Unternehmen, die über keinen Verhaltenskodex verfügen, berichten deutlich seltener davon, Opfer von Wirtschaftskriminalität geworden zu sein, als Unternehmen, die einen Verhaltenskodex implementiert haben (22 gegenüber 45 Prozent im Public bzw. 28 gegenüber 42 Prozent im Private Sector). Dies gilt grundsätzlich, wenn einzelne Compliance-Elemente im Unternehmen implementiert sind. „Hier wirkt das Kontrollparadoxon“, erläutert Prof. Dr. Hendrik Schneider von der Universität Leipzig und Co-Autor der Studie. „Einzelne Compliance-Instrumente steigern die Entdeckungswahrscheinlichkeit und machen die Schäden erst sichtbar. Unternehmen verzeichnen daher einen Anstieg der aufgedeckten Wirtschaftskriminalität, da sie Kriminalität vom Dunkel- ins Hellfeld holen.“
Hinweisgebersystem als entscheidender Erfolgsfaktor verkannt
Bei vollständiger Implementierung eines Compliance-Management Systems ist das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, deutlich geringer. Es entsteht eine Komplementärwirkung aller Compliance-Elemente, sodass nach der Etablierung des Systems auch eindeutige und wissenschaftlich belegbare Präventionseffekte erzeugt werden. Hier kommt einem Hinweisgebersystem eine besondere Bedeutung zu: Es ist das einzige Instrument, mit dem Mitarbeitern sich Gehör verschaffen können (Bottom-up-Instrument). Daher ist es ein großer Fehler, dass besonders Unternehmen aus dem Mittelstand dieses Instrument bisher eher ablehnen. Entsprechend geschützte Unternehmen erkennen nicht nur mehr Delikte, sie senken auch die Viktimisierungswahrscheinlichkeit von 31 auf 25 Prozent.
Opferkarrieren nach dem Schema der „erlernten Hilflosigkeit“
Somit stellt sich die Frage, warum Unternehmen trotz offensichtlicher Bedrohung nicht präventiv in Schutzmechanismen investieren, zumal die Kosten für den Aufbau einer schlagkräftigen Compliance-Organisation im Vergleich zu denen eines Schadenfalls vergleichsweise gering sind. „Die finanziellen Einbußen bei einem Unternehmen, das Opfer von Wirtschaftskriminalität wurde, lösen oft Sparzwänge aus. Trotz eindeutiger Defizite des internen Kontrollsystems werden dadurch keine Verbesserungen und Investitionen in die Compliance-Organisation in Erwägung gezogen“, erläutert John. „Das Problem scheint gelöst, wenn ein Täter gefunden wurde. Genau dort liegt aber die Gefahr von sogenannten Opferkarrieren nach dem Schema der erlernten Hilflosigkeit.“
Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass bei öffentlichen Unternehmen Wirtschaftskriminalität eine genau so starke Bedrohung darstellt wie in der Privatwirtschaft. Allerdings ist das Problembewusstsein weniger stark ausgeprägt, wodurch weniger in Prävention und Aufdeckung investiert wird. „So ist es wohl nur eine Frage der Zeit, wann in den Medien vom nächsten prominenten Fall zu lesen sein wird“, so Prof. Dr. Schneider.
(Quelle: www.presseportal.de)